Musik für das Ende

In der Passionszeit 2022 widmet sich das Vokalensemble Seicento vocale Werken der zwei Komponistenpersönlichkeiten Carlo Gesualdo (1566–1613) und Claude Vivier (1948–1983). Beide vereint eine außergewöhnliche Originalität und unverwechselbare Ausdruckskraft in ihrer von verblüffender emotionaler Dichte und mutigen Innovationen geprägten Musik. 

Aus Gesualdos Responsoria et alia ad Officium Hebdomadae Sanctae spectantia (1611) erklingen vier Responsorien und der 50. Psalm (Miserere). Durch die Herauslösung aus dem liturgischen Kontext der Karwoche gewinnen sie noch an expressivem Gehalt. In der Konsequenz und Einzigartigkeit seines immer wieder die an die Grenzen der Tonalität drängenden Œuvres war Gesualdo seiner Zeit über Jahrhunderte voraus und ermöglicht so einen folgerichtigen Zugang zur kompositorischen Avantgarde Viviers. Dessen eher schlicht gehaltenes Jesus erbarme dich (1974) für Solo-Sopran und Chor umklammert wie eine Antiphon das Miserere Gesualdos und bereitet damit die knapp halbstündige Chorimprovisation Musik für das Ende (1971) vor, die musikalisch zehn Menschenschicksale im Moment des Übergangs zum Tod abbildet. Seicento vocale verharrt dabei nicht in der vorösterlichen Betrachtung von Schuld sowie der Bitte um Vergebung, sondern eröffnet „eine Zeremonie des Endes mit der Hoffnung, dass die Menschheit die wahre Bedeutung ihres Daseins und Dahinscheidens erfahren würde“ (Claude Vivier im Partiturvorwort).

Repertoire
Gesualdo, O vos omnes (aus: Responsoria 1611)
Gesualdo, Tenebrae factae sunt (aus: Responsoria 1611)

Vivier, Jesus erbarme dich

Gesualdo, Miserere, Psalm 50, 3-6.10-17

Vivier, Jesus erbarme dich

Gesualdo, Omnes amici mei, Responsorium I für die 1. Nokturn des Karfreitages
Gesualdo, Plange quasi virgo, Responsorium III für die 1. Nokturn des Karsamstages

Vivier, Musik für das Ende